Das Monster

Langsam erwachte ich aus meinem Traum. Eben noch hatte ich in den Armen dieser wunderbaren Frau gelegen; doch gerade als es am Schönsten zu werden versprach, war ich erwacht. Im Traum hatte sie mir ihren Namen ins Ohr geflüstert. Wie war er noch gleich, Medea? Nein, es war kürzer. Ich versuchte mich zu erinnern, aber der Name war schon unwiderruflich in den unergründlichen Tiefen meines Gehirns verschollen.

Ich streckte mich und schüttelte mir den Schlaf aus den Gliedern. Meine Sinne begannen die Umgebung in sich aufzunehmen. Der starke Regenguss von vorhin hatte sich in ein gleichmäßiges Rauschen verwandelt und nur noch selten warfen die Scheinwerfer eines vereinzelten Autos ihr Licht durch das Fenster. Leise knarzten die Alleebäume im Wind. Doch was hatte mich geweckt?

Wie zur Antwort hörte ich das Geräusch erneut. Siedend heiß überlief es mich. ES war erwacht! Ich musste etwas unternehmen, denn ich war im Moment der Einzige, der ES aufhalten konnte. Leichtfertig hatte ich mich am Nachmittag verpflichtet, ES den ganzen Abend zu bewachen.

Ich spürte wie mir die Angst ins Herz kroch. Aber es half nichts, ich musste mich meiner Verpflichtung stellen.

Heldenmütig erhob ich mich von der Couch, auf der ich gelegen hatte und ging zielstrebig los. Doch etwas sprang mir zwischen die Füße. Ich stolperte und fiel zu Boden. Sofort rollte ich mich zur Seite weg, und richtete mich mit dem Rücken zur Wand wieder auf. Langsam tastete ich mich vor zum Lichtschalter.

Als das helle Licht aufflammte kniff ich für einen Moment geblendet die Augen zu. Dann blickte ich mich um. Das Zimmer sah genauso aus, wie es war, als ich einschlief. Nur ein Stuhl war umgestürzt. Jetzt rührte er sich nicht, doch ich hätte schwören können, dass er vorhin im Dunkeln gelebt hatte. Kein Zweifel, ein dunkles, böses Etwas begann die Macht an sich zu reißen.

ES brachte sich mir mit lautem Gebrüll in Erinnerung. Ich straffte mich und schritt entschlossen voran. Ich hatte eine Mission, und NICHTS würde mich aufhalten können!

Vor der Tür hinter der ES eingesperrt war zögerte ich. Noch hatte ich die Chance umzukehren. Doch wer würde die Menschheit vor einer grausigen Zukunft bewahren, wenn nicht ich. Ich stellte mich meinem Schicksal und drückte die Klinke hinunter.

Was ich sah übertraf alle meine Erwartungen. Das Bannsiegel hatte sich gelöst und lag nutzlos auf dem Boden. Dies war eine gefährliche Situation. Ich musste es wieder an seinen Platz bringen, was bedeutete ich würde es erneut in dem schrecklichen Rachen platzieren müssen.

Ich trat näher und prüfte die Barriere, die ES vom Entkommen abhielt. Nur die besten Materialien des ganzen Landes waren dafür verwendet worden, und doch hielt sie kaum dem Ansturm stand. Ich wusste ES würde noch wachsen, größer und stärker werden. Was konnte uns dann noch retten?

In derlei düstere Betrachtungen versunken nahm ich das Bannsiegel vom Boden auf, reinigte es und trat näher. ES spürte mich kommen und seine Wut steigerte sich ins Unermessliche. Die Klauen durchschnitten nutzlos die Luft in dem Bemühen mich zu erreichen, über die Lefzen lief der Geifer und ich sah den einzigen spitzen Zahn in dem ansonsten kahlen Kiefer.

Als ES erneut seinen Schlund für ein ohrenbetäubendes Gebrüll weit aufriß, nutzte ich die Gelegenheit zum Handeln. Jetzt oder nie!

Ich stopfte das Bannsiegel tief in das Maul. ES wehrte sich, doch schon murmelte ich die magischen Worte. Der Schweiß rann mir über die Stirn, doch ich hatte keine Zeit ihn abzuwischen. Nachdem der Kampf einige Zeit fast aussichtslos zu sein schien, begann sich doch noch alles zum Guten zu wenden. Der Zauber wirkte und ES sank in einen tiefen Betäubungsschlaf.

Erleichtert machte ich mich auf den Rückweg. Wieder einmal hatte ich die Welt vor dem Schlimmsten bewahrt. Doch keiner jubelte mir zu, keine schönen Frauen fielen vor mir in den Staub und küssten mir vor Dankbarkeit die Füße. Der Weg eines Helden kann sehr einsam sein!

An der Tür drehte ich mich noch einmal um und sah zurück. Das Baby schlief friedlich und lutschte an seinem Nuckel. Es sah so süß und harmlos aus, doch ich wusste, es war nur eine Frage der Zeit, bis es sich wieder in ein kreischendes Monster verwandeln würde.