Das Geschenk
Die Geschichte, welche ich euch heute erzählen möchte, trug sich vor langer, langer Zeit zu. Damals war ich noch ein junger Drache, dessen Gelenke nicht bei jeder Bewegung knackten, dessen Augenlicht noch ungetrübt war und dessen Flügel nicht zitterten ...
Zu jener Zeit zog ich gerade durch ein kleines Königreich, welches weise regiert wurde von dem König Rex und seiner Gattin Regine. Unter ihrer Herrschaft gedieh das Land, und das Volk liebte sie. Dieses Königspaar nun hatte sieben Söhne und sechs Töchter, die alle gar wohl geraten und gut erzogen waren. Aber das Königspaar näherte sich nun einem reiferen Alter und deshalb war die Freude umso größer, als die Hofmagusch verkündete, dass Regine wieder ein Kind in sich trug.
Rex war außer sich vor Freude und als das Kind geboren wurde - das siebente Mädchen - ließ er den Tag zum Feiertag ernennen. So kam es, dass jeder Geburtstag der kleinen Lily, so hieß das Kind, vom ganzen Volk freudig gefeiert wurde.
Die Jahre gingen ins Land, und Lily wuchs zu einer jungen und wunderschönen Frau heran. Als sie in das heiratsfähige Alter kam, wurde sie auf Schritt und Tritt umworben. Jeder Mann begehrte sie.
So pilgerten zu Hunderten und Tausenden junge, schöne (und auch weniger junge und weniger schöne) Prinzen in das Königreich und schenkten ihr erlesene Teppiche, duftende Öle, funkelnde Diamanten und dieser Dinge mehr, um ihr Herz zu gewinnen. Doch Lily ehelichte keinen dieser Prinzen.
Es kamen auch viele Helden und Recken. Sie metzelten all die bösartigen Untiere nieder, und als diese ausgingen auch die weniger bösartigen. Es war eine schlechte Zeit für Drachen, Oger, Orks und Dämonen, auch wenn diese niemandem ein Leid zugefügt hatten. Auch ich musste mich vor der einen oder anderen Speerspitze in Acht nehmen, aber als junger Drache gehört so etwas einfach zum Geschäft. Die abgetrennten, blutverschmierten Köpfe der getöteten Monster wurden der Prinzessin als Brautwerbung dargebracht, aber seltsamerweise ließ sich auch damit ihr Herz nicht gewinnen.
Es vergingen einige Jahre, und Lily schlug Brautwerbung um Brautwerbung aus. Als sich im Haarschopf von Rex und Regine die weißen Haare mehrten, erfasste sie Besorgnis, ob denn ihre jüngste Tochter überhaupt jemals einen gütigen Ehemann finden würde.
So entschied der König, einmal ein ernstes Gespräch unter vier Augen mit Lily zu führen.
'Tochter, ', so fragte er nachdem er die Dienerschaft fortgeschickt hatte, 'die edelsten Prinzen und die berühmtesten Helden haben um deine Hand angehalten. Sie brachten die die teuersten und seltensten Dinge als Geschenk dar. Doch du hast sie alle abgelehnt. Was willst du noch?'
Lily überlegte. Sie hatte bisher noch gar nicht darüber nachgedacht, aber jetzt erschien es ihr auch etwas seltsam: all ihre Freundinnen aus der Kindheit und all ihre Schwestern hatten schon den Bund fürs Leben geschlossen. Und sie mussten sich oftmals mit weit weniger attraktiven Bewerbern abgeben als Lily. Man denke nur an den Mann ihrer ältesten Schwester Sandra. Er hatte doch glatt einen hässlichen Pickel mitten auf der Nase. Er war ja ansonsten ganz nett, aber wenn er im Raum war, dann konnte Lily nicht anders, als diesen Pickel anzustarren. Und keiner ihrer Schwestern waren solch kostbaren Brautgeschenke angeboten worden. Doch irgendwie konnte Lily all diesem Gold- und Glitzerkram nicht so übermäßig viel abgewinnen ...
Als sie weiter darüber nachgrübelte, fiel ihr das Geschenk ein, welches sie von ihrem jüngsten Bruder zum 11. Geburtstag bekommen hatte. Sie hatte die großartigsten Geschenke erhalten, sogar ein eigenes Pferd, weil sie damals das Reiten so liebte. Doch ihr Bruder hatte einfach nur ein Stück Stoff genommen, es mit Stroh gefüllt, mit Bindfaden Arme, Beine und einen Kopf abgetrennt und ein lustiges Gesicht daraufgemalt, um eine Puppe zu basteln. Sie hatte sich damals weit mehr über dieses Geschenk gefreut, als über all die anderen Geschenke. Jahrelang spielte sie nur mit dieser Puppe.
So antwortete sie einfach: 'Paps, diese Brautgeschenke sind wirklich wunderbar, doch nichts mehr wünsche ich mir, als ein Geschenk, welches mein zukünftiger Gatte mit eigener Hand geschaffen hat, was er aus tiefstem Herzen nur für mich gemacht hat. Einen solchen Mann, der fähig ist, mich mit solch einem Geschenk zu erfreuen, will ich ehelichen.'
Der König schüttelte erstaunt den Kopf ob dieser Bitte, aber er akzeptierte sie und ließ sie all den Bewerbern verkünden. Doch die Prinzen schüttelten nur traurig die Köpfe und fragten sich wie man etwas mit eigener Hand erschaffen könnte. Manche der gewitzteren gingen in eine Lehre, um ein Handwerk zu lernen.
Nun war es aber so, dass in einem kleinem Dorf am Rande dieses Reiches ein Bauer mit seiner Frau und seinen sieben Söhnen lebte. Die Familie war zwar arm, aber glücklich und zufrieden, insbesondere, da die Söhne alle ein wundervolles Handwerk erlernt hatten.
Der älteste war bei einem Narren in der benachbarten Stadt in die Lehre gegangen. Die Ausbildung war zwar hart gewesen, aber nun konnte er die schönsten Lustspiele, aber auch die traurigsten Tragödien zum Besten geben. Selbst Pantomimen gehörten zu seinem Repertoire.
Der zweite Sohn war Magier geworden und kein Geheimnis dieses Universums war ihm fremd. Der dritte hatte Dichter und der vierte Barde gelernt. Zusammen konnten sie die schönsten Balladen machen. Der fünfte war Tischler geworden und der sechste Bäcker.
Nur der letzte Sohn, so muss ich zu seiner Schande berichten, hatte keinen Beruf erlernt. Den ganzen Tag faulenzte er nur, nichts Vernünftiges brachte er zustande. Seine Eltern hätten sich für ihn geschämt, wenn sie nicht die sechs anderen mit soviel Stolz erfüllt hätten, dass es auch für den Jüngsten reichte.
Eines Tages nun kam ein Bote aus der Hauptstadt, und verkündete auch hier den absonderlichen Wunsch der Prinzessin. All die Leute in dem Dorf schüttelten nur den Kopf und wunderten sich über diese verzogene Göre (obwohl sie das natürlich nie zugegeben hätten). Doch als der älteste Sohn davon hörte dachte er, dass er ein wunderbares Handwerk gelernt hatte, gerade recht, um die Früchte seiner Arbeit der Prinzessin zuzueignen. Und so machte er sich reisefertig und begann das Schauspiel auszuarbeiten, welches er auf der Reise fertigstellen und in der Hauptstadt der Prinzessin präsentieren wollte.
Auch die anderen Brüder kamen zu der Überzeugung, dass die Prinzessin gerade ihrem Charme wohl nicht widerstehen könne und machten sich ebenfalls auf den Weg. Sogar der jüngste Bruder kam mit. Die anderen lachten ihn aus, sie fragten, was er wohl der Prinzessin für ein Geschenk machen wolle, wo er doch nichts gelernt habe. Aber der Junge reagierte nicht darauf, sondern machte sich auf den Weg.
So kam es, dass die Bauernsöhne einige Monate später vor der Prinzessin standen, um ihre Geschenke zu präsentieren. Die Tage zuvor war nichts dabei gewesen, was der Prinzessin so recht gefallen hätte, also stand es um die Chancen der Brüder nicht allzu schlecht.
Zuerst trat der älteste vor. Während der Reise hatte er genug Zeit gefunden, das Stück fertigzustellen und einzustudieren. Es war ein romantisches Lustspiel, voller Liebe, zarter Küsse und was sonst noch so dazugehört. Er spielte allein alle Rollen, und er tat dies so meisterhaft, dass alle in Bann geschlagen wurden. Insbesondere auf die Damen zeigte das Stück große Wirkung, ihre Wangen röteten sich, ihre Brüste bebten, und nicht wenige mussten ihr Gesicht hinter Spitzentaschentüchern verstecken.
So sehr waren sie in seinen Bann geschlagen, dass niemand bemerkte, wie ich mich auf dem Hof niederließ und alles durch ein großes Fenster beobachtete. Wenn ich nicht selbst so fasziniert gewesen wäre, hätte ich mich wahrscheinlich darüber geärgert, dass meine imposante Erscheinung übersehen wurde; damals war ich selbst für einen Drachen sehr eitel.
Auch bei der Prinzessin verfehlte das Stück seine Wirkung nicht, sie verspürte, wie ihr Herz schneller schlug bei dem Gedanken, das jemand dieses Stück nur für sie gemacht hatte. Aber bevor sie etwas sagen konnte, trat der zweite Sohn - der Magier - vor, verbeugte sich und begann sofort magische Kreise zu ziehen und unverständliche Formeln zu brabbeln. Daraufhin begann ein buntes Lichterspiel, ein Feuerwerk an Farben und Formen, die wie wild um den jungen Mann kreisten. Es gab viele Ahs und Ohs, denn es war wunderschön. Immer enger wurde der bunte Reigen, bis es sich zu einem wild wirbelndem Klecks zusammenzog ... und plötzlich hielt der Magier die schönste Blume in den Händen, die jemals gesehen wurde. Diese überreichte er mit einer Verbeugung der Prinzessin und sagte: 'Solange meine Liebe stark ist wird diese Blume unvergänglich blühen, vergesse ich Euch, meine Prinzessin, so wird sie welken.' Aber jeder konnte deutlich sehen, dass die Blume in allerbestem Zustand war.
Die Prinzessin war ganz hin und her gerissen zwischen diesen beiden Darbietungen, und in dieser Phase der Verwirrung trat der Dichter vor und sprach das Sonett, welches er für seine Prinzessin gedichtet hatte. Als er geendet hatte, schlug der Barde in die Saiten seiner Laute und sang die beste Ballade, die jemals einem Menschen zu Ohr gekommen war. Der Tischler überreichte ein feines Schnitzwerk, mit vielen kleinen, liebevollen Details und schließlich zeigte der Bäcker seinen essbaren Schwan, aus den allerfeinsten Zutaten gemacht. Lily wusste gar nicht mehr, wo ihr der Kopf stand, all diese Männer hatten ihr etwas so persönliches geschenkt, sie zweifelte bei keinem an seiner starken Liebe.
Dann trat der jüngste Sohn vor. Er ging zum Thron beugte sich hinab und gab der Prinzessin einen innigen Kuss mitten auf den Mund. Dem ganzen Hof stockte der Atem ob dieser Unverfrorenheit. Selbst die Wachen waren einen Moment wie gelähmt, bevor sie sich ihrer Pflicht entsannen und den Jungen wegzerrten. Er jedoch hob an zu sprechen: 'Diesen Kuss habe ich schon vor langer Zeit mit meinem ganzen Herzen erschaffen. Doch niemals habe ich jemanden gefunden, der es wert gewesen wäre ihn zu empfangen und so bewahrte ich ihn lange auf. Nun soll er Euch gehören.'
Nun trat eine gewisse Änderung bei der Prinzessin ein. Der Dichter hätte vielleicht gesagt, auf ihren Wangen erblühten Rosen, doch ich bin nur ein prosaischer Geschichtenerzähler, zudem auch noch ein alter Drache, deshalb kann ich nur beschreiben was geschah: Lily errötete. Das lag daran, dass sie niemals zuvor einen so liebevollen Kuss auf den Mund bekommen hatte. Dies war das erste Mal, dass sie den Geschmack fremder Lippen genoss, und ihr verschlug es die Sprache. Zum Glück bemerkte der König ihre Gefühlsregungen, also bedeutete er den Wachen mit einem Wink, den Deliquienten loszulassen.
So wurde eine Tragödie verhindert, und nichts stand einer Hochzeit im Wege. Der junge Bauernsohn bekam das Leben für das er geboren wurde, als Gatte der Prinzessin brauchte er sich nie um seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Ein rauschendes Fest wurde gefeiert, bei dem seine Brüder einen Großteil der Unterhaltung beisteuerten. Die Hochzeit war ein voller Erfolg, auch wenn böse Zungen im Nachhinein munkelten, die Prinzessin hätte nicht nur von den Törtchen des schönen Bäckerjungen gekostet.
Rex baute für die beiden ein eigenes Schloss, und wenn sie nicht gestorben sind, dann ...
Übrigens liefen nach der Hochzeit nicht mehr so viele mordlustige Menschen frei herum, so dass man auch als Drache wieder etwas ruhiger schlafen konnte.